19. April 2017

„Nicht noch einmal sterben“ – Beitrag über den ersten Witwen- /Witwerkurs

Nicht noch einmal sterben

Vor über einem Jahr wird eine jungeFrau mit 36 Jahren Witwe. Damals ist sie im sechsten Monat schwanger. Am Witwen-/Witwer-Kurs, der erstmals im St. Wenzeslaus-Stift in Jauernick stattfindet, nimmt sie trotz Vorbehalten teil.

Von Raphael Schmidt (aus: Kirchenzeitung TAG DES HERRN Nr. 15 vom 16. April 2017)

„Vor über einem Jahr ist mein Mann bei einem Arbeits-Unfall tödlich verunglückt, mit 41 Jahren. Als das passierte, war ich im sechsten Monat schwanger. Er wusste bereits, dass wir eine Tochter bekommen werden, hat sie aber nicht mehr kennenlernen können“, sagt eine von 14 Teilnehmern des Witwen-Witwer-Kurses, der unlängst im St. Wenzeslaus-Stift in Jauernick stattfand. Auf ihn wurde die junge Mutter, deren Name nicht genannt wird, durch eine Verwandte aufmerksam.

„Schon seit längerem hatte ich die Idee, Menschen einzuladen, die ihren Partner durch Unfall oder Krankheit vorzeitig verloren haben“, sagt Gabriele Kretschmer. Ansetzen wollte die Referentin im Seelsorgeamt des Bistums „am gemeinsamen Nenner aller Teilnehmer: der Trauer. Der rote Faden des Wochenendes war der Film mit dem Titel ,Dein Weg‘, der viele Aspekte der Trauer angesprochen hat“, sagt sie. Es geht darin um den Konflikt zwischen einem Vater und seinem Sohn. Der bricht das Studium ab, arbeitet nicht, will einfach leben, geht allein den Pilgerweg nach Santiago de Compostela und: verunglückt tödlich. Der Vater geht den Weg, mit der Urne seines Sohnes nach, den dieser gegangen ist. Neben dem Film spielte bei dem Kurs ein Labyrinth eine Rolle und die Frage: Wo stehe ich in meiner Trauer: Mehr in der Mitte? Oder ganz außen?

Trauer als Krankheit anzusehen ist verrückt

Kurz nach dem Tod ihres Mannes „hätte ich nicht an diesem Kurs teilnehmen können – mit diesem Jahr Abstand geht es schon. Von Anfang an bin ich mit meiner Trauer offen umgegangen. In vielen Gesprächen ist es so, als wäre er noch da. Mir ist in dieser Zeit aufgefallen, dass über Tod und Trauer möglichst nicht gesprochen wird. Trauer wird als Krankheit angesehen. Wenn man wegen Trauer nicht arbeiten kann, muss man zum Arzt gehen und sich eine Krankschreibung holen. Das finde ich total verrückt. Erst da habe ich festgestellt, dass es in Deutschland keine Trauer-Kultur gibt“, sagt sie. Als sie auf diesen Kurs angesprochen wird, hat sie „Hemmungen mitzufahren, weil ich dachte: Na ja, dass man den Partner verliert, passiert halt im Alter, zwischen 60 und 70 Jahren aufwärts. Ich habe mit knapp 36 Jahren meinen Mann verloren. Das ist eher ungewöhnlich und da wird keiner dabei sein, der in meinem Alter ist und das Leid mit mir teilen kann“. Als ihr versichert wurde, dass „Trauer nicht im Mittelpunkt stehen würde und die Lebensgeschichten des Einzelnen nicht ausgeweitet werden, da dies zu sehr weh tut“, nimmt sie teil. „Ich fand es gut, dass ein indirekter Weg gewählt wurde, über die Trauer zu reden, beispielsweise über den Film. Und dass Trauer eine Sache ist, auf die man sich nicht einstellen kann, aber die man, wenn sie dann passiert, mit Hilfe von anderen Leuten auch offen leben kann.

Das Wichtigste ist, dass man sich nicht verschließt“. Im Labyrinth des Lebens hat sie ihren „derzeitigen Punkt gefunden: Ich bin zufrieden, dass ich auch wieder Glück empfinden kann und bin dankbar dafür, meinen Mann kennengelernt zu haben, auch wenn er jetzt nicht mehr da ist“. Intensive Trauerarbeit war für sie von Anfang an wichtig, denn sie „wusste, wenn meine Tochter geboren ist, brauche ich Kraft für sie“. Beim Rückblick auf ihr Lebenslabyrinth, auf  Krisen darin, sah sie „immer eine Stärke, dass man weitergeht, dass der Weg nicht zu Ende ist. Manchmal sah es so aus, als wäre ich auf dem Höhepunkt des Lebens, weil ich so viel Glück empfunden habe. Das kann in der nächsten Minute umschlagen“.

Als Wissenschaftlerin geht sie „sehr sachlich und rational an dieses Thema heran. Das hilft mir, dass ich die Trauer schneller in den Griff bekomme und mich nicht darin verliere. Ich kann nichts dafür, dass mir das passiert ist, sehe es auch nicht als Strafe. Es gibt auch keine Schuldfrage zu klären. Es war kein Zufall, aber es ist mir zugefallen. Ich nehme es an und versuche, das Beste für mich und meine Tochter daraus zu machen“, sagt sie.

Der Kurs hat mir neue Facetten aufgezeigt

Bevor sie zu dem Kurs gefahren ist, wusste sie „ungefähr, wo in meinem Lebens-Labyrinth ich stehe. Ein grundlegender Perspektiv-Wechsel ist durch den Kurs zwar nicht eingetreten, er hat mir jedoch neue Facetten aufgezeigt. Es war eine Frau dabei, der ist ein ähnliches Schicksal passiert wie mir. Sie ist älter und ihr Mann starb einige Jahre eher als mein Mann. Sie kann Glück nicht mehr richtig erleben. Da bin ich kurz ins Schwanken gekommen und dachte, vielleicht ist diese Stabilität, die ich gerade spüre, im nächsten Moment wieder weg. Vielleicht habe ich auch bald wieder ein trauriges Leben, wie diese Frau. Oder ich kämpfe eben weiter für meine Stabilität, kann diesen Weg fortsetzen. Ich möchte nicht wie vor einer Wand stehen und nicht wissen, wo und wie es weitergeht, sondern wie aus der Vogelperspektive auf mein Leben schauen“.

Familie hilft, Trauer zu bewältigen: Die junge Mutter sieht ihre Tochter als ein „ganz großes Geschenk. Zum einen, was das Leben angeht, aber auch bei der Trauerbearbeitung. Sie gibt mir immer wieder den Grund, weiterzumachen, weiterzukämpfen, nicht aufzugeben. Ich habe immer im Hinterkopf, dass mein Mann gesagt hätte: Geh weg von meinem Grab – du brauchst jetzt hier nicht trauern, sondern geh nach Hause, schaffe was, versuche weiterzukommen. Ich habe das nicht gewollt, es tut mir leid, aber: Mach weiter! Das treibt mich an und dabei ist Familie sehr wichtig“. Als hilfreich empfinden es Trauernde, offen mit Angehörigen über Trauer reden zu können.

Die Konzeption des Kurses, „sich anhand des Filmes der Trauer zu nähern – gerade am Anfang, wenn einem die Worte fehlen – um die eigene Trauer in Worte zu fassen. So hat dieser Kurs uns im Laufe der zwei Tage in der Gruppe zusammengeführt, obwohl wir ja ein Thema hatten, das tabu ist. Was ich auch gut fand:  ich bin zwar katholisch erzogen, aber ich habe nicht mehr einen so engen Kontakt zur Kirche. Meine Befürchtung, wenn dieser Kurs bei der Kirche stattfindet, würde er zu sehr auf Gott bezogen sein, war nicht so. Es war ein eher freier Umgang. Jeder konnte seine Meinung frei äußern, egal ob er in der Kirche ist oder nicht“. Die Erfahrungen der anderen haben ihr „viel mitgegeben. Diese Herzlichkeit der Menschen, die wussten, wie gut Leben sein kann, aber wie schnell es ins Un-Glück umschlagen kann, das habe ich erst dort voll begriffen“.

Die junge Witwe kritisiert, dass Trauer ein Tabu-Thema ist und fordert: „Das muss sich ändern. Darum ist es gut, dass darüber geschrieben wird. Kurse wie dieser müssten viel öfter angeboten werden, damit Menschen nicht in ihrer Trauer eingehen, sich einkapseln und wie ein zweites Mal sterben, nur weil sie mit ihrer Trauer keinen Weg finden, keine Kommunikation haben“, sagt sie.

Die Kursleiterin sagt: „Mein besonderes Ziel war es, diesen Menschen gut zu tun. Ich habe zu einem besonderen Konzert bei Kerzenschein eingeladen.Die Kerzen dazu hatten wir zuvor hergestellt. Sie sollten an den verstorbenen Partner erinnern. Auch wenn er nie zu ersetzen sein wird, leuchtet er weiter im eigenen Leben. Dass darin mehr Licht ist als vorher, ist Ziel dieser Tage“.

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