Interview mit Michael Standera, Caritasdirektor des Bistums Görlitz zu Flüchtlingen und dem vom Bistum finanzierten Flüchtlingsfonds in Höhe von 100.000 Euro
Papst Franziskus hat sich unlängst folgendermaßen geäußert:
„In unserer Zeit steigen die Migrationsströme in allen Regionen der Erde stetig an: Vertriebene und Menschen auf der Flucht aus ihren Heimatländern fragen Einzelne und Gesellschaften an, werden dabei zur Herausforderung für die traditionelle Lebensweise und bringen zuweilen den kulturellen und sozialen Horizont, den sie vorfinden, durcheinander. Immer häufiger erleiden die Opfer der Gewalt und der Armut beim Verlassen ihrer Herkunftsregionen das menschenverachtende Treiben der Schleuser auf ihrer Reise dem Traum einer besseren Zukunft entgegen. Sofern sie dann den Missbrauch und die Widerwärtigkeiten überleben, sehen sie sich mit Umgebungen konfrontiert, die von Verdächtigungen und Ängsten geprägt sind. Schließlich stoßen sie nicht selten auf einen Mangel an klaren und praktikablen Regelungen, welche die Aufnahme steuern und – unter Beachtung der Rechte und Pflichten aller Beteiligten kurz – wie langfristige Integrationsmöglichkeiten vorsehen sollen. Mehr denn je rüttelt das Evangelium der Barmherzigkeit heute die Gewissen der Menschen wach, es verhindert, dass man sich an das Leid des anderen gewöhnt, und zeigt Antwortmöglichkeiten auf, die in den theologalen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe wurzeln und sich in den Werken der geistigen und leiblichen Barmherzigkeit ausdrücken“.
Die Aussagen des Papstes sind klar und deutlich. Ist der Flüchtlings-Fonds des Bistums eine Folge solcher Worte?
Caritasdirektor Michael Standera:
Franziskus mahnt immer wieder zu einer Globalisierung der Nächstenliebe. Er erinnert uns an unsere internationale Verantwortung. Die Bischöfe in unserem Land wissen ebenso wie die Caritas, dass die Fürsorge von Flüchtlingen und Migranten zum Selbstverständnis der Kirche gehört. Gerade unsere christliche Identität in Deutschland wird dadurch deutlich, wie wir uns denen zuwenden, die heimatlos geworden sind, die auf der Flucht sind und zu uns kommen. Jedes Jahr werden wir am Weihnachtsfest an die Herbergssuche erinnert. Dieses Bild bekommt in der aktuellen Situation eine ganz andere Dimension. Da merkt man, wie aktuell dieser biblische Text ist, wie nah die Ereignisse vor über 2000 Jahren zu uns gekommen sind.
Begibt sich Kirche in einen Bereich, für den eindeutig der Staat zuständig ist?
Caritasdirektor Michael Standera:
Der Staat ist zuständig für die Unterbringung der Flüchtlinge. Das ist eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Das heißt beispielsweise, dass kein Mensch, der von Obdachlosigkeit bedroht ist, unter einer Brücke schlafen muss. Nach dem Subsidiaritätsprinzip übernehmen die Caritas und weitere Wohlfahrtsverbände diese soziale Arbeit im Auftrag des Staates. Dies gilt gleichermaßen für Flüchtlinge und Asylbewerber. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt Essen, Unterkunft, medizinische Versorgung. Nicht alles kann per Verordnung und Gesetz geregelt werden. Je nach unseren Möglichkeiten wollen wir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es gibt auch Härtefälle. Dabei können wir mithelfen, zu Lösungen zu kommen. Menschliche Zuwendung und auch rechtlicher Beistand sind wichtig. Unsere Aufgabe ist es, das zu fördern, was nicht durch staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden kann. Das können Honorarmittel für einen Dolmetscher sein. Oder wenn Pfarrgemeinden Flüchtlingen helfen, Familie mit Kindern, Ausflüge organisieren, Freizeitangebote unterstützen, dafür stehen die Mittel aus dem Flüchtlings-Fonds zur Verfügung.
Hilfe kann auch bei Härtefällen gewährt werden. Meist kommen mehrere soziale Härten zusammen. In der täglichen Praxis braucht es oftmals Zeit, um Rechtsansprüche durchzusetzen. Hier gibt es viele Beispiele, sei es beim Tod eines Familienmitgliedes oder bei Krankheit und existenzbedrohenden Situationen.
Kann es durch diesen Fond zu „Schieflagen“ kommen, wenn sich beispielsweise einkommensschwache Personen, Familien benachteiligt fühlen von ihrer Kirche und Caritas?
Caritasdirektor Michael Standera:
Die Gefahr ist da, aber bisher haben wir dies nicht erlebt. Wir brauchten bisher niemanden wegschicken. Wir sind immer im Gespräch und schauen, ob sich neue Notlagen auftun, wo wir handeln müssen. Wir müssen als Kirche und Caritas aufpassen, dass sich keine Benachteiligungen ergeben. Wir vertreten gleichermaßen die Menschen, die an den Rändern unserer Gesellschaft leben oder gedrängt werden. Die Notlagen dieser Menschen kennen wir. Das kann jemand sein, der sich vergeblich um eine Arbeitsstelle bemüht, oder um bezahlbaren Wohnraum. Die in unserer Gesellschaft am Rand lebenden Menschen und die Flüchtlinge dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Allen diesen Menschen gehören auch weiterhin unsere Verantwortung und unser Engagement.
Flüchtlingsströme werden zunehmen. Zieht dies nicht eine Lawine an Forderungen, Erwartungen nach sich, die Kirche längerfristig möglicherweise nicht erfüllen kann?
Caritasdirektor Michael Standera:
Über eine Million waren es im vorigen Jahr, weit mehr als angenommen. Unser Bemühen ist die Wahrung der individuellen Würde jedes Flüchtlings und Asylbewerbers. Diesen Entwicklungen müssen wir uns stellen, wenn wir unseren Auftrag als Caritas ernst nehmen. Unser Tun steht im Einklang mit unseren ethischen Einstellungen als Christen. Dafür erfahren wir als Kirche und Caritas auch Anerkennung. Die Erfahrungen beim Umgang mit dem Flüchtlingsfonds werden sich entwickelm. Wir müssen abwarten, wie schnell und in welcher Zeit die Summe aufgebraucht ist. Noch haben wir in unserem Bistum keine Erfahrungen damit. Darum ist vereinbart, nach zwei Jahren die Arbeit mit dem Fonds zu evaluieren. Die Praxis wird zeigen, was sind das für Notlagen, welche Anträge werden gestellt. Darauf muss entsprechend reagiert werden.
Die politische Positionierung nach den Fragen von Flucht und Asyl steht auf der Tagesordnung. Es geht darum, Programme zu entwickeln, damit Menschen in ihren Heimatländern und den umliegenden Regionen bleiben können. In vielen Krisenregionen ist Caritas international bereits stark engagiert. Sie hilft vor Ort.
Bei allem Engagement: Angesichts der Weltlage ist davon auszugehen, dass auch in naher Zukunft Menschen in großer Zahl Schutz und Zuflucht in Deutschland suchen. Als Kirche und Christen sind wir herausgefordert, uns der Sorgen und Probleme von Flüchtlingen anzunehmen. Christus selber hat uns aufgetragen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40).
Es wird über den Fonds hinaus eine zusätzliche Stelle geschaffen, vom Bistum finanziert. Kann dies nicht das bestehende Netzwerk leisten – wieso braucht es etwas Separates?
Caritasdirektor Michael Standera:
Es ist eine Stelle mit 15 Stunden pro Woche. Der Inhaber der Stelle soll eine Art Lotse sein, der Gemeinden unterstützt. Er kennt die Netzwerke und verfügt über das erforderliche Fachwissen zur Migrationsarbeit und zum Asylbewerberleistungsgesetz.
Wir dürfen nicht Mitarbeiter aus der Migrationsarbeit, beispielsweise aus dem Europäischen Sozialfonds, anders einsetzen, als die Förderrichtlinien es uns vorschreiben. Der Förderzweck muss eingehalten werden. Wir können nicht festlegen: Ihr macht das mit! Es handelt sich darüber hinaus bei den bestehenden Programmen um Menschen, bei denen der Status bereits geklärt ist. Hierbei geht es beispielsweise um Integration in den Arbeitsmarkt.
Der Lotse soll hingegen an der Schnittstelle zwischen Flüchtlingen/Asylbewerbern und Gemeinden aktiv sein und je nach Bedarf Unterstützung anbieten.
Das Bistum ist fast 10.000 Quadratkilometer groß – wie will man mit einer Person das gesamte Bistum abdecken?
Caritasdirektor Michael Standera:
Der Anspruch ist flächendeckend. Das kann erreicht werden, wenn der Lotse Ehrenamtliche für diese Arbeit befähigt und wenn die praktische Unterstützung vor Ort passiert. Ehrenamtliche dürfen nicht überfordert werden, sie brauchen Begleitung und Unterstützung. Wir dürfen sie nicht allein im Regen stehen lassen. Das passiert immer wieder. Darum soll der Lotse auch Weiterbildungen anbieten, den Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinden fördern und steuern, eine Art Austauschbörse schaffen. Ich hoffe, dass eine gute Kommunikation entsteht. Patentrezepte gibt es nicht: Wir stehen ganz am Anfang.
Im Pfarrhaus von Rothenburg an der Neiße wohnt seit August vorigen Jahres eine tschetschenische Flüchtlingsfamilie. Wie kann der Fonds, kann der Lotse, helfen, damit sich Menschen hier heimisch fühlen?
Caritasdirektor Michael Standera:
Soweit wie möglich öffnen wir unsere Räume. Flüchtlinge kommen in die einzelnen Landkreise, die sie mit Wohnraum versorgen müssen. Menschen, die in Wohnungen unterkommen, haben es bei der Integration einfacher. Ansonsten werden sie mehr unter sich bleiben und es kommt zu Ghettoisierung. Wir wollen mit den Mitteln, die wir haben, Begegnungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ermöglichen und dort, wo solche bestehen, diese unterstützen. In diesem und anderen Fällen gilt: Wir können und wollen unbürokratisch helfen. Dabei kommt man nicht ohne Vertrauen aus.
Beim Flüchtlingsgipfel der Katholischen Kirche in Deutschland im November 2015 in Würzburg habe ich den großen Konsens erlebt, den wir als Kirche auf der Grundlage unseres christlichen Menschenbildes haben. Hier ist eine akute Situation eingetreten, da wissen wir nicht sofort Lösungen. Aber vom Evangelium, von der christlichen Botschaft gilt, so wie es im Matthäusevangelium steht: „Ich war fremd, ich war obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“. Diese zentrale Botschaft war dort zu spüren. Wichtig waren aber auch die Hinweise der Kirchlichen Hilfsorganisationen wie beispielsweise Misereor, die gesagt haben: Wir sind seit 50 Jahren in diesen Ländern aktiv, aus denen diese Flüchtlinge heute zu uns kommen. Eigentlich war das voraussehbar. Es wurde zu wenig getan, um dort die Strukturen zu verändern. Es war toll zu erleben, der Grundkonsens, ein einheitliches Wertesystem. Solche Haltungen geben mir immer wieder die innere Kraft, sich dieser Aufgabe täglich zu stellen.
Mein Dank gilt an dieser Stelle auch allen Ehren- und Hauptamtlichen in dieser Arbeit.
Caritasdirektor Michael Standera im Gespräch mit Raphael Schmidt
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