14. Juli 2023

Görlitzer Seelsorgeamtsleiter Hoffmann im Interview

Görlitzer Seelsorgeamtsleiter im Interview über die pastorale Situation im Bistum Görlitz

Ansgar Hoffmann im Interview mit katholisch.de

 

Ansgar Hoffmann (l) im Gespräch mit Bischof Wolfgang Ipolt (r.). Foto: Bistum Görlitz.

Erstveröffentlicht auf katholisch.de am 13.07.2023  – Von Steffen Zimmermann 

Görlitz ‐ Seit Anfang des Jahres leitet Ansgar Hoffmann das Seelsorgeamt im Bistum Görlitz. Im Interview spricht er über die Sorgen und Wünsche der Pfarrein in der Diaspora, die hohen Kirchenaustrittszahlen und die Frage, ob und wie Kirche wieder stärker Brücken zum Alltag und Leben der Menschen bauen kann.

Seit Anfang des Jahres leitet Ansgar Hoffmann das Seelsorgeamt des Bistums Görlitz. Welche Erfahrungen hat er im Umgang mit den Pfarreien in Deutschlands zahlenmäßig kleinster Diözese bislang gemacht? Welche Sorgen und Wünsche haben die Gläubigen in der ostdeutschen Diaspora? Zu diesen Fragen nimmt der Religionspädagoge und langjährige Referent im Bildungsgut Schmochtitz im benachbarten Bistum Dresden-Meißen im Interview mit katholisch.de pointiert Stellung. Außerdem spricht er über die hohen Kirchenaustrittszahlen auch im Bistum Görlitz sowie den öffentlich kaum bekannten Wert der katholischen Sexualethik und der Beichte.

Frage: Herr Hoffmann, seit Anfang des Jahres leiten Sie das Seelsorgeamt des Bistums Görlitz. Wie fällt Ihre Bilanz nach dieser Zeit aus?

Hoffmann: Ich bin auch nach einem halben Jahr immer noch in der Phase des Kennenlernens. Insofern fällt es mir etwas schwer, von einer Bilanz zu sprechen. Das klingt so abschließend – dabei habe ich doch gerade erst angefangen.

Frage: Dann frage ich anders: Wie haben Sie die ersten Monaten im Seelsorgeamt erlebt? Und was hat sich vielleicht bereits als Ihre wichtigste Aufgabe herauskristallisiert?

Hoffmann: Ich habe vor ungefähr vier Monaten angefangen, nach und nach alle 16 Pfarreien unseres Bistums zu besuchen. Damit bin ich zwar noch nicht ganz fertig, dennoch zeigt sich mir schon, dass der Alltag in der extremen Diasporasituation für alle Pfarreien eine große Herausforderung ist. Wie kann das christliche Leben unter diesen Bedingungen auch langfristig aufrechterhalten werden? Was passiert, wenn wir als Katholiken noch weniger werden? Mit diesen Fragen sind derzeit wohl alle unsere Pfarreien auf die eine oder andere Weise beschäftigt – und diese Fragen werden sicher auch ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.

Frage: Welche Erwartungen und Wünsche tragen die Pfarreien diesbezüglich an Sie heran? Was soll das Seelsorgeamt nach Ansicht der Pfarreien leisten?

Hoffmann: Allgemein gesprochen wünschen sich die Pfarreien, dass das Seelsorgeamt nicht so sehr als Verwaltungsbehörde auftritt, sondern ihnen bei ihren Fragen und Nöten im Alltag unterstützend zur Seite steht. Das äußert sich bei meinen Gesprächen vor Ort meist in sehr konkreten Fragen und Wünschen – etwa mit Blick auf die Kinder- und Jugendseelsorge. Aufgrund unserer Diasporasituation, aber auch aufgrund von Abbrüchen nach der Corona-Pandemie gibt es bei uns derzeit zum Beispiel Pfarreien, in denen sich nur ein einziges Kind auf die Erstkommunion vorbereitet. Das ist für das betroffene Kind wenig ermutigend. Zudem stellen sich dabei auch handfeste theologische Fragen, schließlich ist gerade bei der Erstkommunion die Gemeinschaft ja eigentlich konstitutiv.

„Wer – überspitzt gesagt – auf sich allein gestellt ist, dessen Hauptsorge sind nicht in erster Linie kirchenpolitische Themen.“

—  Zitat: Ansgar Hoffmann

Frage: Wie gehen Sie mit diesem Problem um? Wäre es zum Beispiel eine Möglichkeit, die Erstkommunionkatechese und später auch die Feier der Erstkommunion für mehrere Pfarreien gemeinsam auf diözesaner Ebene zu organisieren?

Hoffmann: Solche Überlegungen gibt es durchaus. Allerdings ist das aufgrund der räumlichen Distanzen in unserem Bistum gar nicht so einfach. Wir haben zwar nur knapp 30.000 Katholiken, von der Fläche her sind wir aber größer als Mainz, Limburg oder Köln. Die Pfarreien und damit auch die Gläubigen sind bei uns über einen relativ weiten Raum verstreut. Dadurch sind engeren Kooperationen zwischen den Pfarreien durchaus gewisse Grenzen gesetzt. Auch fällt es uns in vielen Orten zunehmend schwer, genug Kinder und Jugendliche zusammenzubringen, um wirklich von einer Pfarreijugend sprechen zu können. Wenn zu Veranstaltungen in einer Pfarrei wiederholt nur zwei oder drei Jugendliche kommen, dann bleiben die irgendwann auch zu Hause, weil mit so wenigen Teilnehmern auch wenig Gemeinschaft und Beziehung wachsen kann.

Ansgar Hoffmann leitet seit Anfang des Jahres das Seelsorgeamt im Bistum Görlitz. Foto: privat.

Frage: Welche Rolle spielen die anhaltende Krise der katholischen Kirche und die mitunter heftigen Polarisierungen unter den Gläubigen für die Seelsorge in Ihrem Bistum?

Hoffmann: Die Polarisierungen sind schon auch hier und da spürbar, spielen aber nicht die große Rolle wie vielleicht in anderen Bistümern. Ich denke, dass die Diasporasituation und die überwiegend ländliche Struktur unseres Bistums auch diesbezüglich mitentscheidend sind. Wer – überspitzt gesagt – auf sich allein gestellt ist, dessen Hauptsorge sind nicht in erster Linie kirchenpolitische Themen. Vielmehr geht es um die Frage, wie man im Angesicht der beschriebenen Herausforderungen hier vor Ort den Glauben leben und bewahren kann.

Frage: Gilt das auch mit Blick auf den Synodalen Weg? Ihr Generalvikar hat im April in einem Interview mit katholisch.de gesagt, dass der Reformprozess in Ihrem Bistum kein zentrales Thema gewesen sei. Hat er recht?

Hoffmann: Ja, ich erlebe das ähnlich. Dabei glaube ich gar nicht mal, dass die Menschen hier im Bistum die Themen, die beim Synodalen Weg verhandelt wurden, grundsätzlich ablehnen, und ich möchte auch nicht deren Bedeutung herunterspielen. Aber wie gesagt: Sie scheinen für den Alltag vieler Gläubiger und ihre damit verbundenen Sorgen keine so wesentliche Rolle zu spielen. Die Menschen hier versuchen einfach, ihr Katholischsein zu leben. Dabei geht es ganz stark auch um Fragen der Identität.

Frage: Trotzdem zeigen sich auch bei Ihnen die Folgen der anhaltenden Kirchenkrise: 422 Menschen sind 2022 im Bistum Görlitz aus der Kirche ausgetreten. Die Zahl klingt klein, sie bedeutet aber einen neuen Austrittsrekord. Wie blicken Sie auf die Austritte?

Hoffmann: Mit einer großen inneren Traurigkeit und vielen Fragen. Ich frage mich zum Beispiel, wie groß die Enttäuschung bei Menschen über die Kirche sein muss, dass sie den Austritt offenbar als alternativlos erachten.

Frage: Die Antwort auf diese Frage muss Sie als Leiter des Seelsorgeamtes besonders umtreiben.

Hoffmann: Natürlich. Als Kirche sollten wir unsere Kräfte an erster Stelle darauf ausrichten, für die Menschen – wie es am Anfang von Gaudium et spes heißt – in ihrer Freude und Hoffnung, Trauer und Angst da zu sein. Und das gilt selbstverständlich auch für Menschen, die über einen Austritt nachdenken oder bereits ausgetreten sind.

Frage: Und wie kann das gelingen?

Hoffmann: Wir sollten den Kern unserer Botschaft angesichts der vielen drängenden Themen viel stärker in den Vordergrund stellen. Paul Zulehner und andere nennen es: „Hoffnung für eine taumelnde Welt“. Allein mit rein strukturellen Änderungen oder mit besseren Strategien zur Öffentlichkeitsarbeit wird das nicht gelingen. Wir müssen die Menschen vielmehr wirklich in ihrem Innersten erreichen und berühren und deutlich machen, dass die christliche Botschaft einen Mehrwert für ihr Leben haben kann, dass sie Sehnsüchte und Hoffnungen berührt. Um hier gehört zu werden, brauchen wir als Kirche natürlich in erster Linie Glaubwürdigkeit, aber auch dringend anschlussfähige Brücken zum Leben der Menschen in all seiner Vielfalt. Warum wir das bisher nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Maße schaffen – diese Frage treibt mich um.

„Gerade in der heutigen Zeit, in der so viel Bedarf an psychologischer und therapeutischer Begleitung besteht, könnte die Beichte als Form persönlich-geistlicher Begleitung einen so wichtigen Stellenwert haben.“

—  Zitat: Ansgar Hoffmann

Frage: Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Hoffmann: Natürlich, ich nehme mal gleich zwei heiße Eisen: Zum Beispiel die katholische Sexualethik. In der Öffentlichkeit wird sie weitgehend als restriktiv, lustfeindlich oder diskriminierend wahrgenommen. Und zweifelsohne gab und gibt es hier und da auch Idealisierungen, Moralisierungen und Einseitigkeiten, die sehr am tatsächlichen Leben vorbeigehen. Franziskus‘ nachsynodales Schreiben „Amoris laetitia“ war dahingehend sicher ein wichtiger Schritt. Dass hinter dieser ganzen Sexualethik aber eigentlich eine absolut wertschätzende Haltung gegenüber der menschlichen Sexualität und der Liebe zwischen zwei Menschen steht, dass diese tiefe Begegnung miteinander auch mit Angenommensein, Würde und Verletzlichkeit, aber auch mit Verantwortung zu tun hat – das wird öffentlich kaum aufgenommen, und die Verbrechen der Missbräuche scheinen uns jede Glaubwürdigkeit dahingehend genommen zu haben. Mit Blick auf die Sehnsucht von Menschen nach gelingender und erfüllender Beziehung hätten wir hier aber schon etwas zu sagen.

Frage: Und das zweite heiße Eisen …

Hoffmann: … ist die Beichte. Die ist hierzulande schon seit Jahrzehnten in der Krise, weil nicht deutlich genug zu sein scheint, worum es hier eigentlich geht. Dazu mag auch die ein oder andere pastorale Praxis und persönliche Erfahrung beigetragen haben. Aber im Prinzip steht bei diesem Sakrament ja die immer wieder neu erfolgende Zusage im Mittelpunkt, gerade mit meinen Ecken und Kanten, auch mit meinen schweren Fehlern, nicht aus Gottes Hand zu fallen und nicht ohne Würde und Wert zu sein, sondern ganz geliebt. Diese Zusage ermöglicht, mich selbst immer wieder mit allem, was ich bin, neu anzunehmen und sogar weiter persönlich zu wachsen. Gerade in der heutigen Zeit, in der so viel Bedarf an psychologischer und therapeutischer Begleitung besteht, könnte die Beichte als Form persönlich-geistlicher Begleitung einen so wichtigen Stellenwert haben. Wir müssen zeigen, dass wir als Kirche wirklich für alle Menschen da sind und, ich wiederhole es noch einmal, den Beginn von Gaudium et spes – also das Teilhaben an ihren Freuden und Hoffnungen, ihren Traurigkeiten und Ängsten – radikal in die DNA der Kirche aufnehmen, als Haltung zu leben lernen und dann das Evangelium ins Gespräch bringen. Das wird, so denke ich, die seelsorgliche Hauptaufgabe der Kirche in den nächsten Jahren sein.

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