Nebel, Schmuddelwetter, Grau in Grau, so stellen sich die Tage im Spätherbst in Görlitz dar. Ein Tag macht eine Ausnahme, der Barbaratag, der 4. Dezember. Eigentlich sind es nur Stunden an diesem Tag, in denen die tiefhängenden Spätherbsttage die Sonne kurze Zeit freigeben. Als kurz vor 14 Uhr Repräsentanten aus Politik, Gesellschaft und der bauausführenden Firmen zum St. Otto-Stift strömen, taucht die Sonne die Klinkerfassaden und die neue Dachhaut der Kathedrale St. Jakobus in warmes Licht.
„Dies ist ein historischer Moment, an dem wir innehalten und nach alter Tradition Kartuschen für eine Turmkugel befüllen“, sagte Thomas Backhaus der Leiter der Bauabteilung des Bischöflichen Ordinariates Görlitz. Dompropst Hubertus Zomack ergänzt: „und dazu an einem historischen Ort, der ehemaligen Kapelle des St. Otto-Stiftes.“
Zwei Kartuschen aus Titanzink, jede etwa 30 Zentimeter hoch und acht im Durchmesser, stehen auf einem runden Tisch, die Deckel liegen daneben. Einige Minuten danach werden sie Dokumente beherbergen, die in der Kugel mit einem Innendurchmesser von 40 Zentimetern Platz auf einem der neuen Seitentürme am Hauptturm der Kathedrale Platz finden werden, für hoffentlich viele hundert friedliche Jahre. Denn durch Kriegseinwirkungen, kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs, beendete ein Bombentreffer das friedliche Nebeneinander von vier Ecktürmen, die den Hauptturm flankierten, ihm zusätzlichen Halt gaben.
Architekt Backhaus moderiert und informiert über den Ablauf: Nach dem Vorstellen der Dokumente werden diese gerollt, eingepackt in stabiles Papier, verschnürt und in die Kartuschen gesteckt. Im Hof des St. Otto-Stiftes warten bereits die Klempner. Sie verlöten die beiden Kartuschen und danach die Kugel mit diesen. Das wird eine knappe halbe Stunde dauern. In dieser Zeit gibt es im Nachbarraum Kaffee und Kuchen – und Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Danach wird die Turmspitze mit der inhaltsvollen Kugel aufgesetzt. Schutzhelme in Weiß und Gelb, einige wenige in Blau, liegen bereit. Sicherheitsingenieur Michael Gürlach wird den sicheren Auf- und Abstieg am Turm, für die dafür zugelassenen Personen, koordinieren. Einer von ihnen ist Nikolai Schmidt, der als Bildreporter für die Sächsische Zeitung arbeitet. Von dort kam die erste Meldung zur Teilnahme. Diese Tageszeitung hat die Rekonstruktion der Kathedrale von Anbeginn begleitet.
Dompropst Zomack stellt einige Dokumente vor, so die Kopie der päpstlichen Errichtungsurkunde, Bauunterlagen und das Sanierungs- und Finanzierungskonzept, mit Stand vom 14. Mai 2012. Das Dokument unter der Überschrift: „Äußere Instandsetzung und Sanierung Kathedrale St. Jakobus Görlitz“ wird von Dompropst und den Architekten Doris Kohla und Thomas Backhaus unterzeichnet. Eine ebenfalls unterzeichnete Kopie kommt in das Bistumsarchiv. Der Bistumsarchivar, Dr. Winfried Töpler der über einige Zusammenhänge informiert, nimmt das zweite Dokument gleich mit, um es sicher zu verwahren. Generalvikar Dr. Alfred Hoffmann gibt ein Exemplar des aktuellen Schematismus des Bistums für die Turmkugel. Eine Bauzeichnung vom Turm ist dabei und ein Foto vom Richtfest. Auf dem sind Handwerker, Planer und Vertreter des Bauherrn zu sehen. Thomas Backhaus liest einige Passagen aus dem Richtspruch vor, der in die Kugel kommt:
„Es ist ein Bau erstanden
zu Gottes Ehr` und Ruhm,
wo wir den Vater preisen
in seinem Heiligtum.
Es ist ein Bau vollendet,
von Menschenhand gemacht,
worin dem Weltbaumeister
sei Lob und Dank gebracht.
Umsonst ist unser Bauen,
vergeblich aller Fleiß,
wenn wir nicht ihm vertrauen,
Der zu erbauen weiß…“
Pfarrer Norbert Joklitschke gibt den aktuellen Pfarrbrief der Pfarrei Heiliger Wenzel als Zeitdokument. Die Ausgabe der Sächsischen Zeitung vom Tage kommt in die Kugel, wie der TAG DES HERRN, die Bistumskarte, sowie ein Heft, das über Aktivitäten im Bistum informiert. Die Frage, ob denn auch gültige Geldstücke in die Kartuschen kommen, beantwortet der Dompropst damit, dass alles Geld für die Sanierung gebraucht werde.
Die Dokumente sind verpackt, stecken in den Kartuschen, die Klempner beginnen ihr Werk. Während die meisten der Gäste mit Gesprächen, bei Kaffee und Gebäck, beschäftigt sind, wird um den Tisch der lötenden Klempner eine kleine Kollekte gehalten. Drei Ein-Cent-Stücke sind es am Schluss, die neben den zwei Kartuschen in der Kugel Platz gefunden haben. Dann wird auch die Kugel dicht verlötet. Der Klempner mit der Turmspitze führt den Zug zum Aufzug am Turm an. Einige Gäste nehmen die Treppen, die am Gerüst angebracht sind; andere bleiben vor dem Gotteshaus stehen, schauen von unten zu. In dieser Gruppe steht Generalvikar Dr. Alfred Hoffmann, mit einem Helm auf dem Kopf. In luftiger und windiger Höhe wird die Turmspitze arretiert. Die Sonne bescheint auch diese Szenen in voller, der Intensität, zu der ein Dezembertag überhaupt in der Lage ist. Dompropst Zomack spricht den Segen. Und Weihnachten, so sagt es Architekt Backhaus, bekommen die Görlitzer ein ganz besonderes Geschenk: sie werden den Kirchturm in alter, neuer Schönheit sehen, so wie er seit 1945 nicht mehr zu sehen war.
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