25. August 2016

An der Heiligen Pforte in Neuzelle wird für „HOT“ gesammelt – warum das barmherzig ist, sagt Caritasdirektor Michael Standera

An der Heiligen Pforte des Bistums in Neuzelle steht ein Opferstock. Dessen Inhalt und die Kollekte bei der Bistumswallfahrt am 4. September im Geistlichen Zentrum Neuzelle kommen dem neuen Projekt der Caritas „HOT“ zugute. Caritasdirektor Michael Standera spricht dazu hier im Interview:

 Herr Caritasdirektor Standera, was ist HOT?

Haushaltsorganisationstraining, das ist Sozialarbeit innerhalb der Familienpflege und zielt daraufhin, die Selbsthilfefähigkeit der Familie wiederherzustellen. Das heißt auch, die Ressourcen, die innerhalb eines Familienverbundes vorhanden sind, aufzudecken und zu nutzen. An einem Beispiel: Sind Wohnungen  unaufgeräumt, dann  ist  oftmals keine Struktur mehr zu erkennen. Die soziale Arbeit muss sich dann auf   auf die Versorgung der Familie konzentrieren, damit die Grundleistungen gewährleistet sind. Es geht um Kleinkinder, die versorgt werden müssen, um eine Tagesstruktur, um ein Mindestmaß an Sauberkeit und Ordnung, Kleider- und Wäschepflege. Nicht, dass Wäsche, nur weil sie schmutzig ist, weggeworfen und neue aus der Kleiderkammer geholt wird. Diese Familien müssen es wieder lernen, Mahlzeiten zuzubereiten. Das  gesamte Familienwohl soll dabei  gefördert  werden.

Warum diese Kollekte, da doch der Staat hier als Handelnder in der Verantwortung ist?

Der Staat ist zuständig. HOT wird durch sogenannte Fachleistungsstunden finanziert. Das heißt: Wenn die Caritas mit Jugendämtern Verträge abschließt, um bei Familien oder Alleinerziehenden mit Kindern solche Leistungen zu erbringen, dann werden diese Fachleistungsstunden vom Staat bezahlt. Wir brauchen Geld für den Aufbau einer solchen Struktur. Wir müssen zunächst Mitarbeiter qualifizieren. Die Ausbildung eines Mitarbeiters kostet uns etwa 3.000 Euro.  Wir wollen mit sechs Mitarbeitern anfangen. Diese Kosten übernimmt der Staat nicht, die müssen wir als Caritas erbringen. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass  im Jahr der Barmherzigkeit der  Opferstock in Neuzelle aufgestellt wurde  und die Kollekte der Bistumswallfahrt letztlich diesen Menschen zugutekommt,  denen  wir als Caritas dann besser helfen können.

Noch ein Projekt, wozu braucht es das?

Wir haben gemerkt, dass es nicht ausreicht, Menschen zu beraten. Wir müssen sie  darüber hinaus  befähigen, sich in  ihren Familien um die Kinder zu kümmern, sie mit Mahlzeiten zu versorgen, damit  sie in einigermaßen geordneten Verhältnissen heranwachsen können. Caritas muß  an den sozialen Brennpunkten präsent bleiben. Unsere Sozialarbeiter erleben die Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Da kann man nicht einfach die Augen zumachen vor der Not, die sie mitunter sehen. Statt nur gute Ratschläge geben, heißt es bei HOT: Begleiten, Menschen befähigen, ihr Leben zu strukturieren, vorausgesetzt sie sind dazu bereit. Nur dann  können wir mit ihnen zusammen arbeiten . Es gibt keine Sicherung des Sozialstaates ohne Befähigung.  Wir müssen Menschen  zur Teilhabe befähigen.

Ist die Zielgruppe nicht damit überlastet,  mit Hilfeplänen zu arbeiten?

In der sozialen Arbeit mit Familien gibt es das sogenannte Hilfeplanverfahren. Das heißt: Als Caritas bekommen wir die Aufgabe vom Jugendamt, in einer Familie etwas in Bewegung zu setzen, sie zu unterstützen. Es gibt dann das Hilfeplangespräch, gemeinsam mit den Familien, mit alleinerziehenden Müttern oder Vätern. Es geht dabei immer zuerst um die Frage: Wollt ihr überhaupt etwas verändern?  Dementsprechend werden konkrete  Ziele verabredet. Ein Beispiel: Eine Familie hat Schulden. Dann ist es angeraten, einen Haushaltsplan gemeinsam zu erstellen, auf der einen Seite die Einnahmen, auf der anderen  Seite die Ausgaben aufzuschreiben. Bereits an dieser Stelle kann man, wenn die Ausgaben größer als die  Einnahmen sind,  feststellen, dass es so nicht weitergehen kann. Nächster Schritt könnte sein: Wo und wann kaufe ich preisgünstig  ein, was wird überhaupt gebraucht. Das Hilfeplangespräch legt jeweils Teilziele fest. Nach einigen Wochen trifft man sich und analysiert gemeinsam, was erreicht wurde, was nicht und warum nicht.

Vorbild ist der Familienpfleger: Setzt das Projekt nicht zu spät an, beseitigt die Wirkungen, statt die Ursachen?

Das ist oft so – wir kommen manchmal zu spät. In der sozialen Arbeit machen wir die Erfahrung, mitunter müssen sich die Dinge zuspitzen. Es kommt durchaus zu Krisensituationen. Kinder werden auffällig in der Schule, haben kein Brot, nichts zu Trinken dabei. Wir erleben Familien, die außerhalb der uns gewohnten Denkwelten ihr Leben vollziehen.

Müsste das System nicht eher bei der Bildung anfangen –  in einem  Fach, das „Lebenstauglichkeit“ heißen könnte?

Schule soll natürlich auf das Leben vorbereiten. Da geht es zunächst darum,  Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen. Unser bisheriges Schulsystem hat nicht zuerst die Familie im Blick. Es gibt Ansätze, auch in Kindertageseinrichtungen, Grundlegendes dahingehend zu vermitteln. Ein guter Ansatz  wäre, wenn es eine Symbiose wäre, zwischen Bildungsarbeit, Schule auf der einen Seite, auf der anderen die Sozialarbeit.  Wir hatten bisher die Komm-Struktur. Wer also in die Beratungsstelle gekommen ist, dem konnten wir helfen. Viele kommen nicht. Über Familientreffs haben wir die Möglichkeit Familien zu erreichen, können ihnen dort einiges von den Werten vermitteln und helfen. Ein häufiges Problem  sind Schulden – und die müssten  nicht aufkommen, wenn es Kinder beizeiten lernen, mit Geld umzugehen. Auf grundlegende Dinge im Leben vorbereitet zu werden,  ist  Aufgabe von Familien, aber  gleichermaßen von Bildungseinrichtungen.

Es kann der Vorwurf kommen: Je schlechter sich Menschen auf das Leben vorbereiten, umso finanzintensiver wird ihnen später geholfen.  Wer kann wann und in welcher Situation, Hilfe in Anspruch nehmen?

Bei der Sozialarbeit fließen viele Transferleistungen. Es werden Familien unterstützt, auch mit Bargeld. Es gelingt nicht überall, Hilfe in allen Situationen anzubieten. Wir helfen in Härtefällen, wo der Gesetzgeber keine Hilfe vorsieht oder die Hilfen ausgeschöpft sind. Das kann die klassische Hilfe sein: Familien mit geringem Einkommen, Alleinerziehende, die es nicht  schaffen  Geld anzusparen.  Es kann sich grundsätzlich jeder an die Caritas wenden, wenn er in eine Notsituation gekommen ist. Man wird nicht allen gleichermaßen gerecht werden können. Aber: Gerechtigkeit hat nicht vordergründig  etwas mit Geld zu tun, sondern immer auch etwas mit menschlichen Beziehungen. Sozial schwache Menschen haben mitunter einen großen Freundeskreis, der helfen kann – bei HOT heißt es: Hilfe untereinander ist mit  einzubeziehen.

Wie kann HOT Familie helfen?

Das  Prinzip der katholischen Soziallehre ist das Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip.  Dort knüpft HOT an. Die Familie ist die kleinste Zelle. Erst dort, wo sich Menschen in Familien, im Freundeskreis  gegenseitig nicht mehr helfen können, wird Hilfe von außen, vom Staat benötigt.

Braucht es HOT als eigenständiges Projekt oder sind die Hilfsangebote der Caritas nicht bereits  umfangreich genug?

HOT ist als Projekt entwickelt worden und läuft zunächst eigenständig. Es muss später in die Regeldienste integriert werden. In einem gewissen Zeitraum, der heute noch nicht benannt werden kann, wird man nicht mehr von dem Projekt reden, sondern von dem Dienst, der sich dann etabliert hat.

HOT heißt (auf Englisch) heiß, wie heiß ist das Projekt und was passiert wann?

Noch im Herbst werden die ersten Mitarbeiter mit Weiterbildungen anfangen. Dies wird sich etwa auf ein halbes bis dreiviertel Jahr hinziehen. Hauptamtliche – Familienpfleger –  werden geschult. Diese werden dann versuchen, auch Ehrenamtliche mit hineinzunehmen. Diese Ehrenamtlichen könnten auch aus den Familien kommen, denen geholfen werden soll und die unter Anleitung viel zielgerichteter helfen können.  In dieser Zeit laufen Verhandlungen mit den Jugendämtern, die sich teilweise diesen Dienst wünschen. Dann werden wir  mit den Familien die ersten Erfahrungen sammeln. Von ihnen wird auch einiges abverlangt, denn sie müssen ihre Bereitschaft signalisieren, dass sie etwas verändern und mit den Mitarbeiterinnen der Caritas zusammenarbeiten wollen. Wichtig ist mir, ein  herzliches Dankeschön an die Menschen,  die mithelfen und  spenden.  Im Jahr der Barmherzigkeit ist es ein  passendes, gutes Projekt, dass in dem Opferstock neben der Heiligen Pforte und bei der Bistumswallfahrt dafür gesammelt wird.

Gespräch: Raphael Schmidt

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