9. August 2017

Ein Stolperstein wurde für den ehemaligen Kaplan in Görlitz Alfons Maria Wachsmann verlegt

Alfons Maria Wachsmann war von 1921 bis 1924 Kaplan in der Pfarrei Görlitz Heilig Kreuz in Görlitz – er wurde von den Nazis hingerichtet – jetzt erinnert, neben einer Gedenkplatte und der „Wachsmann-Siedlung“, ein Stolperstein vor der Pfarrkirche Heilig Kreuz an ihn.

 „Opfer ungerechter Gewalt“ steht auf einer Gedenkplatte für Alfons Maria Wachsmann an der Pfarrkirche Heilig Kreuz in Görlitz. Er war dort Kaplan, wurde wegen seiner christlichen Überzeugung inhaftiert und starb unter dem Fallbeil der Nationalsozialisten. Gedenkplatten und Kreuze an und vor der Kirchenmauer erinnern seit Jahren an ehemalige und verstorbene Priester dieser Gemeinde. Nun ist ein weiterer Stein hinzugekommen. „Heute ist der Künstler Günter Demnig zu uns gekommen, um einen Stolperstein für Alfons Maria Wachsmann zu setzen, der von 1921 bis 1924 Kaplan in dieser Kirche Heilig Kreuz war. Stolpersteine erinnern an die vielen Menschen, die von 1933 bis 1945 unschuldige Opfer des totalitären, menschenvernichtenden Nazi-Regimes wurden“, sagte Pfarrer Norbert Joklitschke zur Begrüßung. Von einem „Stein des Anstoßes“ sprach der Pfarrer, weil Wachsmann  zu den Menschen gehörte, „die das geschehene Unrecht gesehen und sich darüber empört haben“. Darum musste er den „Weg der Verfolgung, der Qual und des Todes gehen“.

Nach einem Musikstück folgte eine kurze Zusammenfassung des Lebenslaufes, über den ein Biograph schrieb: „Es war in gewisser Weise, ein Vorwort für jene acht Monate bitteren Leides, die mit seinem Tode unter dem Fallbeil am 21. Februar 1944, endeten.“ Alfons Maria Wachsmann wurde am 25. Januar 1896 in Berlin geboren und wuchs nach dem Tod seines Vaters in Schlesien auf. Die leidvollen Erfahrungen als Kriegsfreiwilliger im Zweiten Weltkrieg führten ihn zu einer pazifistischen Einstellung. Nach Beendigung des Theologiestudiums wurde er im Juni 1921 in Breslau von Kardinal Bertram zum Priester geweiht. Seine erste Kaplanstelle trat er am 15. August 1921 in Görlitz Heilig Kreuz an. Nach zweieinhalb Jahren wurde er im Januar 1924 als Kaplan an die Herz Jesu Kirche in Berlin Prenzlauer Berg versetzt – Berlin gehörte damals noch zum Erzbistum Breslau. Am 8. Januar 1929 ernannte ihn Kardinal Bertram zum Pfarrer der Pfarrei St. Josef in Greifswald. Als solcher bezog Wachsmann früh Stellung gegen den Nationalsozialismus, in dem er ein Folterwerkzeug der Unfreiheit sah. In dem Maße, wie dieser die Unterdrückung der menschlichen Freiheit und die Missachtung der Menschenwürde ausweitete, wuchs seine Empörung. Besonders zu schaffen machte ihm die leichte Beeinflussbarkeit der Menschen und ihre schnelle Bereitschaft, sich dem Regime zu fügen. Sein Widerstand bestand vor allem in seinem unermüdlichen Bemühen, den Menschen seiner Pfarrei und besonders den Studenten christliche Überzeugungen entgegen der Nazi-Ideologie zu vermitteln und sie zu bestärken, standhaft zu bleiben. Pfarrer Wachsmann scheute sich nicht, in Gesprächen Kritik am Regime zu üben, Maßnahmen der Nazis anzuprangern und seine Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus durch Verweigerung des Hitler-Grußes und Verweigerung von Gaben bei NS-Sammlungen deutlich zu machen. Dadurch wurde er zum Staats-Feind erklärt. Seit 1934 überwachte der damalige Staat das Telefon und seinen Schriftverkehr. Im Rahmen der Stettiner Gestapo-Aktion gegen katholische Geistliche wurde Wachsmann am 23. Juni 1943 verhaftet. Der sogenannte Volksgerichtshof, unter Leitung des berüchtigten Roland Freislers, erhob Anklage gegen Wachsmann. Am 3. Dezember 1943 wurde Pfarrer Alfons Wachsmann zum Tode verurteilt, am 5. Januar 1944 ins Zuchthaus Brandenburg–Görden überstellt und am 21. Februar 1944 dort durch das Fallbeil hingerichtet.

An der Stelle, wo er hingerichtet wurde, hat Prälat Peter C. Birkner gebetet. „Dort am Fallbeil, das war schon eindrucksvoll. Die Verlegung des Stolpersteins ist für mich eine Abrundung dessen, was ich in Görlitz betrieben habe. Wir haben uns bereits zu DDR-Zeiten darum bemüht, dass Alfons Maria Wachsmann genannt wird, als Straßen-Name“, sagt er. Und: „Wenn die aufrichtigen Leute aus dem Bereich des Sozialismus so verehrt werden, dann müssen wir auch die nennen dürfen, die von der anderen, der christlichen Seite her ihrem Gewissen gefolgt sind“. Die Wohnsiedlung am St. Carolus-Krankenhaus trägt seit dieser Zeit, auf Initiative von Prälat Birkner, offiziell den Namen Alfons Maria Wachsmann.

Nachdem der Stolperstein im Gehweg vor dem Pfarrgrundstück eingebaut ist, liest Moritz Manuel Michel, Sänger, Schauspiele, Theaterpädagoge, aus den Briefen vor, die Wachsmann im Gefängnis bis zu seiner Hinrichtung schrieb. „Pfarrer Joklitschke hat mich gefragt, ob ich bereit wäre, diese Texte vorzulesen. Mit ihm hatte ich mich zuvor nie beschäftigt. Als ich hörte, dass er viel getan hat gegen die Nazidiktatur und standhaft geblieben ist, habe ich sofort zugesagt“. Am Abend vor der Verlegung las er sich die Briefe durch. „Ich habe dabei eine Gänsehaut nach der anderen bekommen. Und da waren plötzlich die Bilder da, die ich mir als Kind bereits gemacht habe“. Die betrafen einen Verwandten von ihm, der ebenso ermordet wurde. „Als ich las, dass Wachsmann den Tod als einen Übergang in ein anderes Leben angesehen hat, wünschte ich mir, dass ich so glauben könnte wie er.

In den acht Monaten seiner Haft durfte Wachsmann nur eine beschränkte Zahl von Briefen schreiben. 13 Briefe an seine Schwester und ein Brief an seinen Bischof sind uns heute Zeugnisse seiner Christus-Nachfolge. Alle Briefe sind es Wert, gelesen zu werden. Wir tragen ihnen Auszüge aus den sechs Briefen vor, die er nach seinem Todesurteil schrieb:

Brief, vom 23. Dezember 1943, Berlin-Tegel
Morgen ist Heilige Abend. Ich bin in großer Sorge, wie Du die heiligen Tage verleben wirst. 1898 verloren wir Weihnachten den Vater, vor 2 Jahren rief gerade zu Weihnachten Gott unsere geliebte Mutter heim. In diesem Jahr ist Dir der Bruder genommen, der auf Erden unter allen Menschen nur Dich innigst liebt und jetzt hoch verehrt. Bei mir ist der Rahmen des Festes klar umgrenzt: die Kerkerzelle. So arm wie in diesem Jahr habe ich noch nie an der Krippe gekniet. Mir ist alles abgesprochen: mein Heim, meine Ehre, mein Leben. So will ich an der Krippe dessen knien, der nichts hatte, wohin er sein Haupt legen kann, der als Feind seines Volkes zum Tode verurteilt wurde, der Sein Blut als Trankopfer ausgoss für das Heil Seines Volkes und der ganzen Welt. Als Gaben trage ich zur Krippe Hunger und Kälte, Einsamkeit und Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die blanken Fesseln. So will ich mein Leben, das im Dienst des Weihnachtskönigs stand, Ihm geben, der mich mit seinem kostbaren Blut erlöst hat. Mit den reichen Tränen der Reue will ich abwaschen, was Schuld und Sünde in mir geworden ist. In solcher Gesinnung pilgere ich zur Krippe….

Hast Du irgendetwas gehört über die Hoffnung, die das Gnadengesuch hat?…

Brief, vom 6. Januar 1944, Zuchthaus Brandenburg – Görden
Liebe Maria! Seit gestern bin ich hier. Wenn Du mich besuchen willst, musst Du vom Volksgerichtshof Erlaubnis haben. Volksgerichtshof soll jetzt im Landgericht Potsdam sein.
Gestern hat mich gleich der hiesige Pfarrer besucht. So kann ich wieder Brevier – für das Endres nicht gesorgt – beten. …
Wir hatten in letzter Zeit fast jede Nacht Alarm. Hier sind Gott sei Dank die Fenster ganz, so dass es warm ist. Ich hatte heute recht große Freude am Brevier. Werde Licht Jerusalem! Dann werde ich jetzt täglich (die Commendatio Animae) das kirchliche Sterbegebet beten. Lass sie Dir von Endres übersetzen. Es soll mir eine tägliche Einübung zum Sterben werden…

Als ich an den Hochaltar meißeln ließ: „ET ITERUM VENTURUS EST“, ahnte ich nicht, dass ich einmal jeden Tag nach der Tür schauen würde, ob der Herr schon kommt.

Trotz der Herrlichkeit des ewigen Lebens, die an den transparenten Horizonten wetterleuchtet, wird das Ausziehen des alten Kleides, das Abschiednehmen von der Erde, schwer. Ich bin ein Mensch! So hoffe ich und bete, dass Gottes Gnade mich wieder an den Altar führt, wenn es dem Willen Gottes so gefällt.

In starker Liebe und ohnmächtiger Dankbarkeit. Alfons

Brief, vom 29. Januar 1944, Zuchthaus Brandenburg – Görden
Am 27.1. waren es 15 Jahre, dass ich in Greifswald bin. Ich habe diesen Tag still im Herzen gefeiert. Da ist mir so klar geworden, wie sehr ich die Pfarrei liebe. Ich habe Gewissenserforschung gehalten. Gewiss, ich habe Fehler begangen und Unterlassungen; aber ich muss doch dankbar sein für all das Gute, das Gott durch mich zu wirken Sich würdigte. Ich habe viel für jede Familie gebetet. Dies tue ich jeden Tag.
Ich flehe zu Gott, dass ER die Kinder segne und keines verlorengehe; für die Armen, dass Sie ihren Reichtum in Christus erkennen, für die Reichen, dass sie Schätze im Himmel sammeln, für die Studierenden, dass sie wachsen in Erkenntnis, für die Professoren, dass sie die alles übersteigende Erkenntnis Christi schätzen….
Sei so lieb und sage ein Wort des Dankes allen, die ein gutes Wort an mich oder für mich geschrieben oder gesagt haben…

Brief, vom 11. Februar 1944, Zuchthaus Brandenburg – Görden
Liebste Maria!
Wenn Du diese Zeilen empfängst, sind wir schon in der Fastenzeit. Sie in diesem Jahr zu gestalten ist durch die Situation gegeben. Ich faste ja schon über 8 Monate, habe also Übung darin. Ich will daher dieses Fasten heiligen, besonders im Gebet. Manchmal möchte ich müde werden, wie einer der nicht mehr kann. Dann hilft Gott mit Seiner Gnade. Als besondere Buße will ich in Geduld die Fesseln tragen, die ich schon über 70 Tage trage, die mich furchtbar quälen und schmerzen. Was ich mit den Händen gesündigt habe! Um mich zu trösten und zu stärken, denke ich oft daran, wie Christus Fesseln trug, wie Petrus und Paulus in Ketten lagen.

Für Deinen letzten Besuch bin ich Dir sehr dankbar. Es ist der Lichtpunkt: die gezählten Minuten Seines Hierseins sind die Kraftreserven für die nächsten Wochen. Nun hoffe ich wieder bis Du hier bist. Im Herzen werde ich noch ruhiger. Mein Leben liegt in Gottes Hand. Meine Existenz ist: geborgen in der Gnade dessen, der am Kreuz hingerichtet worden ist…

Brief, am 21.Februar 1944
Liebe Minka!
Ich sterbe um 3 Uhr. Nun ist die Stunde gekommen, die Gott in ewiger Liebe für mich bestimmt hat. Der gute Scholz hat mir meine Beichte gehört und die Wegzehrung gereicht. In einer Stunde gehe ich hinüber: in die Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt Gott ergeben. In Seiner Hand bin ich geborgen. In Seinem hl. Herzen wird mich Christus hinüberreißen zum Vater. Maria wird mich beschützen und St. Josef mich begleiten. Nun muss ich noch Abschied nehmen von Dir. Hab herzlichen Dank für alles, alles, was Du im Leben mir Gutes getan hast. Sei gesegnet für die Liebe, die Du mir geschenkt, für die Nachsicht und Geduld, die Du mit mir gehabt. Besonders herzlich bitte ich Dich um Verzeihung, dass ich Dir in den letzten 9 Monaten so viel Herzweh verursacht habe. Ich lege Dich hinein in das Herz Christi. Gott wird für Dich sorgen. Sei nicht mutlos! Vertrau auf Gott, Er hat mich nie verlassen.
Die neun Monate meiner Vorbereitung auf die Ewigkeit waren schwer, aber doch sehr schön. Nun muss ich durch die enge Pforte der Guillotine heimgehen. Ich bin überzeugt, dass Vater und Mutter auf mich warten.
Grüße …(nun folgen viele Namen)…. und alle, alle!
Ahnungslos, dass ich heute sterben muss, las ich von Reinhold Schneider die drei ersten Erzählungen aus „Dunkle Nacht“.
Liebste Maria:
Es segnet Dich der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn
und der Heilige Geist!
Auf Wiedersehen im Himmel!
Alfons

An den Bischof von Berlin Konrad von Preysing

Brandenburg-Görden, 21. Februar 1944 Exzellenz!
In einer halben Stunde gehe ich hinüber zum Vater der Lichter. In Ehrfurcht danke ich für alle Güte und Milde. Bitte grüßen Sie die Mitbrüder. Ich bitte um das Gebet. Ich opfere meinen Tod Gott auf für meine Sünden und für die Kirche, die ich geliebt habe aus ganzer Seele.
Ich habe fast täglich für Exzellenz gebetet in der Vorbereitung für die Ewigkeit.
Ich empfange kniend Ihren Segen und bin Ihr Alfons M. Wachsmann

Moritz Manuel Michel sagt abschließend: „Wenn ich an Stolpersteinen vorbeigehe, schaue ich immer wieder drauf. Dieser hier wird mir in besonderer Erinnerung bleiben, ganz sicher!“

Der Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung TAG DES HERRN und wurde um die Brief-Auszüge erweitert.

 

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